J. Schneider: Abteistadt Weißenburg

Studien zur Geschichte der Abteistadt Weißenburg im Elsaß im Mittelalter

Die Dissertation befaßt sich mit der Geschichte der Abteistadt Weißenburg im Elsaß. Mehrere Gründe bestimmten die Wahl dieses Themas. Nicht zuletzt war es der nicht zu übersehende Mangel an spezifisch elsässisch-landesgeschichtlicher Forschungsliteratur. Trotz der immensen Anstrengungen der letzten Jahre liegen noch viele Themen der Alsatica-Mediävistik brach. Hierzu zählt vor allem die historische Stadtforschung. Im Gegensatz zum hohen touristischen Bekanntheitsgrad der meist pittoresken elsässischen urbanen Siedlungszentren liegen nur wenige und meist veraltete Kenntnisse über die geschichtliche Genese der betreffenden Kommunalwesen vor. Als Paradebeispiel hierfür kann Weißenburg gelten, für das eine modernen Ansprüchen genügende historische Untersuchung noch nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist.

Angesichts der desolaten Forschungslage drängte sich bei der Anfertigung der vorliegenden Dissertation die Intention auf, Grundlagen zu erarbeiten. Ziel war es, eine solide Basis zu bilden, auf der spätere Untersuchungen aufbauen können. Dementsprechend breitgefächert gerieten inhaltlicher und zeitlicher Rahmen. Letzterer umfaßt die gesamte Zeitspanne von der Stadtgenese im modernen geschichtswissenschaftlichen Sinne bis zum Ende des Mittelalters. Ersterer beinhaltet alle quellenmäßig gut erfaßbaren Bereiche der modernen Stadtgeschichtsforschung.

An erster Stelle stand die Problematik der Stadtwerdung. Eine genaue Betrachtung der historischen Quellen zeigte, daß Weißenburg bereits für das beginnende 12. Jahrhundert als Stadt klassifiziert werden kann. Auf keinen Fall ist die Abteistadt - wiewohl oft und bis zuletzt immer wieder behauptet - als Stadtgründung der Staufer anzusprechen. Dessen ungeachtet ist die Bedeutung der staufischen Stadtvogtei nicht gering einzuschätzen. Aufgrund ihrer starken herrschaftlichen Präsenz schufen die Vögte der Bürgerschaft die notwendigen Freiräume zur kommunalen Emanzipation von der klösterlichen Dominanz. Einen gewissen Abschluß erlebte die rechtliche Herauslösung der Bürgerschaft freilich erst unter dem Königtum Rudolf von Habsburgs. Dessen Schiedsurteil kam in den Augen der spätmittelalterlichen Weißenburger Bürger sozusagen die Funktion eines "Grundgesetzes" ihrer Heimatstadt zu.

Trotz der damit untermauerten Autonomie der Bürgerschaft wirkten die urbanen Wurzeln Weißenburgs dauerhaft prägend. Wie die Auswertung der sozialgeschichtlich relevanten Quellen ergab, bildeten noch am Ende des Mittelalters die "Hausgenossen" den Kern des städtischen Patriziats. Hierbei handelte es sich in Parallele zu den rheinischen Bischofsstädten um die Nachfolger der geistlich-stadtherrlichen - hier also der klösterlichen - Ministerialität. Ein weiteres bedeutsames, über die Jahrhunderte hinweg konserviertes Element der frühen herrschaftlichen Gegebenheiten bildete neben der städtischen Rechtsverfassung die zentrale Rolle der Geistlichkeit innerhalb der Stadt. Dies bezog sich auch auf den wirtschaftlichen Bereich. Die gewöhnlich in Bischofsstädten festzumachende "generalis discordia", also die grundlegende Auseinandersetzung zwischen Bürgerschaft und Geistlichkeit um die steuer- und kirchenrechtliche Sonderstellung der letzeren Gruppe zeitigte auch in Weißenburg Wirkung. Hier wurde ebenso erbittert um die Privilegien der Mönche der Abtei und der Kanoniker des Stephansstifts gekämpft wie etwa im unweit gelegenen Speyer.

Daß die inneren herrschaftlichen Zustände stets auch von der regionalen und überregionalen Mächtekonstellation beeinflußt wurden, beweisen im Falle Weißenburgs die Untersuchungen zum Beziehungsgeflecht Stadt-Königtum und Stadt-Pfalzgrafschaft. Hier konnte die Dissertation auf zahlreichen Spezialuntersuchungen und vergleichbaren Analysen, die in Bezug auf andere Städte vorliegen, aufbauen. Bislang unbeachtet blieben demgegenüber die Verhältnisse Weißenburgs zu seinem Umland, zu den unmittelbar benachbarten und weiter entfernt gelegenen Orten und Städten. Eine umfassende Auswertung der Quellen führte hier zu erstaunlichen Ergebnissen. Genannt sei nur der Aspekt der Migration. Die Arbeit kann nachweisen, daß während des späten Mittelalters Menschen über Hunderte von Kilometern entlang der wichtigsten mittelalterlichen Straßen und Flußläufe in die nordelsässische Stadt zuwanderten. Dabei entsprachen die benutzten Routen den Vertriebswegen des Weißenburger Handels: So kamen beispielsweise aus dem Elsaß südlich des Hagenauer Forstes kaum Einwanderer in die Stadt, aus Ortschaften entlang des Neckars und des Mains dagegen relativ viele.

Angesichts der bedeutsamen Rolle der Geistlichkeit schien ein Blick auf dieselbe als dringend geboten. Freilich mußte sich hier die Arbeit noch mehr als in den übrigen Forschungsbereichen eine Beschränkung auferlegen. Nur die Grundzüge der lokalen Kirchengeschichte konnten aufgezeigt werden. Doch genügte dies, um einige weitreichende neue Ergebnisse vorzulegen. Stellvertretend genannt seien die erstmals erfolgte Auflistung, lokale und kirchliche Zuordnung der diversen Beginenkonvente sowie die Klärung der bislang weitgehend unbekannten Geschichte der Weißenburger Dominikanerinnen "zu Merenbronn".

Weitere wichtige Einzeluntersuchungen beschäftigen sich mit der Genese und Entwicklung der Weißenburger Sakrallandschaft, der Rolle des städtischen Spitals, dem kommunalen Sozialwesen samt Leprosenhaus und Armenküche sowie nicht zuletzt der sozialen Schichtung der Bevölkerung des mittelalterlichen Weißenburg.