Das Reichsheer im Neusser Krieg

Dissertationsprojekt

Patrick Leukel

Trotz des wieder gestiegenen Interesses an der mittelalterlichen Militärgeschichte ist das Reichsheer bzw. sind Reichsheere im Spätmittelalter bisher nicht Gegenstand einer genaueren Untersuchung gewesen. Diese Lücke ist nicht auf den hier untersuchten Neusser Krieg beschränkt. Auch andere Reichsheere wie in den Hussitenkriegen, den Kämpfen gegen Ungarn oder gegen reichsinterne Kontrahenten wurden bisher nicht näher untersucht. In diesem Dissertationsvorhaben soll das Reichsheer im Neusser Krieg erstmals umfassend beschrieben werden. Der Fokus der Arbeit liegt hierbei auf der Organisation, der Struktur und der inneren Kohärenz des sozialen Gefüges im Reichsheer. Wie wurde das Reichsheer aufgestellt und finanziert? Gab es eine klare Hierarchie der Befehlsstruktur? Wie funktionierte das Reichsheer und welche spezifischen Faktoren und Personen trugen dazu bei, dass der Feldzug nach Neuss zum Erfolg wurde. War das Reichsheer mehr als die Summe seiner einzelnen Kontingente? Welche gemeinsamen Interessen, welche Ideen hielten es zusammen? Die hohe Komplexität und Heterogenität des Aufgebotes wirft die Frage auf, inwiefern das Reichsheer hier auch als Spiegel des dezentral strukturierten Reiches erscheint. Andererseits aber ist auch danach zu fragen, inwiefern neue Aspekte der Heeresorganisation sichtbar werden und in welchem Kontext diese zu interpretieren sind.

Im Zuge des Neusser Krieges 1474/75 gelang es Kaiser Friedrich III. ein starkes, stabiles Reichsheer zu versammeln und es vor die Tore der belagerten Stadt zu führen. Diese bemerkenswerte politische und organisatorische Leistung verwunderte bereits die Zeitgenossen und erstaunt auch noch die heutigen Historiker, zeigten sich doch hier das spätmittelalterliche Reich und der Kaiser gegenüber einer akuten Bedrohung als unerwartet handlungsfähig. Freilich befand sich das Reichsgebilde im 15. Jahrhundert in einer Umbruchsphase zwischen offener Verfassung und gestalteter Verdichtung. Während das Reich insgesamt bemerkenswerter Verfassungsreformen entgegenging, hat man auch für die Aufstellung des Neusser Reichsheeres von einer Reform in der Art der Heeraufbringung gesprochen, bei der nicht mehr nur persönliche Gefolgschaft, sondern auch die Pflichten der Glieder des Reiches gegenüber dem Ganzen eine Rolle spielten. Erstaunlich war die breite soziale und regionale Herkunft. Die verschiedenen Kontingente kamen aus königsnahen und fernen Gebieten des Reiches, aus Städten und Fürstentümern und bestanden sowohl aus zur Lehnsfolge gerufenen Vasallen als auch aus bezahlten Söldnern und dienstverpflichteten Bürgern und Knechten. Im Reichsheer von 1474 bzw. 1475 fanden sich ungefähr 24 Fürsten, 40 Grafen, 72 Städte sowie unzählige Niederadlige, die dem Aufgebotsschreiben des Kaisers gefolgt waren.

Die Arbeit macht es sich zur Aufgabe, diese verschiedenen Quellen umfassend auszuwerten und zu analysieren. Methodisch sollen die Quellen zum einen inhaltlich analysiert werden, zum anderen sollen Netzwerk- und Kommunikationsanalytische Instrumente eingesetzt werden, um den Aufbau des Reichsheeres als Netzwerk bzw. Personenverband zu beschreiben. Hier bietet sich die Gelegenheit im Rahmen der geplanten Studie eine Forschungslücke zu füllen und das Reichsheer der Jahre 1474/75 aus seinem Schattendasein zu befreien.