Elena Vivien Scharnewski | Dissertationsprojekt

Dissertationsprojekt

"es seii purger ader gest – Fernkaufleute als Fremde in der Stadt" (Arbeitstitel)

Die spätmittelalterliche Stadt war geprägt durch eine Vielfalt ihrer Bewohner:innen und Besucher:innen,
die ebenso einen differenten rechtlichen Status innehatten. Nur ein kleiner Teil der Einwohner:innen ver-   fügte über ein volles Bürgerrecht, das sich insbesondere durch ein passives Wahlrecht auszeichnete. Zu   den Nichtbürger:innen zählten unter anderem Beisassen, Geistliche, Jüd:innen und Fremde. Als „fremd“ galt,   wer in keiner rechtlichen Beziehung zur Stadt stand und nicht dauerhaft in derselben wohnte. Dabei waren „Ausmärker“, welche täglich zum Arbeiten in die Stadt kamen, von „Gästen“ zu differenzieren, zu denen insbesondere Fernkaufleute zählten. Auch wenn Gäste nicht unter den Schutz der Stadt gestellt wurden,          so bildete das mit dem Wirt vereinbarte Gastrecht, bei dem sie für die Zeit ihres Aufenthalts wohnten, ein Freundschafts-, Schutz- und Haftungsverhältnis zwischen Gast und Bürgerschaft. Zentral im Gästerecht waren Regelungen zum Handel; Zwistigkeiten konnten durch spezielle Gastgerichte entschieden werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die stadtrechtlichen Bestimmungen vielfach zu Lasten der Gäste  gingen, um zu gewährleisten, dass ihre Stellung in der städtischen Gesellschaft derjenigen der Voll- bürger:innen untergeordnet blieb. Neuere Auseinandersetzungen mit dem Faktor Fremdheit finden sich in einzelnen Studien zur Chronistik und mit einem kunstgeschichtlichen Schwerpunkt. Zudem ist Fremdheit im Kontext von Inklusion und Exklusion bereits Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen geworden. Die Wechselwirkung zwischen Fremden und Städten wurde in vorherigen Arbeiten jedoch eher ausgespart. Zu Fernhandelskaufleuten im Speziellen existiert eine intensive Forschung hinsichtlich ihrer Handels- und Familienbeziehungen sowie ihrer Einbindung in Handelsgesellschaften. Es gibt zudem vereinzelt Unter-suchungen zu ausgewählten Städten – die Funktion der Fernhandelskaufleute als Gäste in der spät-mittelalterlichen Stadt ist aber bisher kaum thematisiert worden. Insbesondere ein Vergleich zwischen den Regelungen der oberdeutschen Städte sowie der Hanse, welche oft als Sonderphänomen betrachtet wurde, steht noch aus.
Innerhalb des angestrebten Dissertationsprojektes soll sich diesem Forschungsdesiderat angenommen
werden. Dazu wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Fremdheit in der spätmittelalterlichen Stadt
spielte. Untersucht wird diese Fragestellung am Beispiel der Fernhandelskaufleute, die aus anderen
Reichsstädten und Ländern als Gäste nach Lübeck und Nürnberg kamen. Mit Lübeck und Nürnberg
werden die zwei bedeutendsten Handelsmetropolen im ober- und niederdeutschen Raum herangezogen,
welche zudem beide ein patrizisches, folglich eher zunftfernes, Regiment hatten. Um sich vor allem dem
Komplex der Fremdheit adäquat anzunehmen, ist nicht nur ein Vergleich zwischen den beiden Städten, sondern ebenso eine prosopographische Aufarbeitung der Fernhandelskaufleute notwendig.