Vernetzungen des Niederadels am Mittelrhein (1300-1500)

Dissertationsprojekt

Gabriel Eggert

Das Gebiet des Oberen Mittelrheintals zwischen Koblenz und Bingen zeichnete sich imSpätmittelalter durch eine mehrschichtige Zersplitterung aus. Der Rhein als eine der wichtigsten kontinentalen Handelsstraßen wie auch der lukrative Weinanbau boten starke Siedlungsanreize, gleichzeitig begrenzte aber die Engtallage die Besiedlungsfläche, so dass sich nur – zahlreiche - Kleinst- und Kleinstädte bilden konnten. Über diese städtische Kleinteiligkeit wölbte sich die stark ausgeprägte territoriale Zersplitterung, in der sich Kleinterritorien den Flusslauf entlang eng aneinanderreihten und eine ausgeprägte Gemengelage an Herrschaftsrechten dominierte. Besondere Brisanz erhielt diese politische Situation dadurch, dass mit den Erzbischöfen von Köln, Mainz und Trier sowie den Pfalzgrafen vom Rhein gleich vier der im Untersuchungsgebiet vertretenen Landesherren Kurfürsten und Große des Reiches waren, deren Kernterritorien und Herrschaftszentren jedoch woanders lagen, so dass die jeweiligen Territorien am Oberen Mittelrhein mal mehr oder weniger entfernte Peripherien bildeten.

In diesen heterogenen politischen Strukturen bildete der Niederadel ein zentrales Element: Zum einen konnte er durch eigene Herrschaftsrechte unter Umständen selbst Kleinstterritorien und -herrschaften bilden, zum anderen war er durch Lehens- und Amtsdienste im Namen der Landesherren deren wichtigste Trägergruppe der Macht auf unterer und mittlerer Ebene. Es waren die Niederadligen, die als Vögte, Burgherren und Amtsleute in der alltäglichen Praxis Herrschaft ausübten. Gleichzeitig war der einzelne Niederadlige nur in den seltensten Fällen allein Lehensmann oder Diener eines Herren und die für das Spätmittelalter typisch Mehrfachvasallität in Spiegelung der territorialen Zersplitterung am Oberen Mittelrhein stark ausgeprägt. Darüber hinaus gab es eine enge Verknüpfung von Adel und Kleinstadt, in der die Niederadligen wichtige Funktionen in den Städten einnahmen und teilweise auch in diesen wohnten. Durch diese vielfältigen Verbindungen war der Niederadel in eine Vielzahl von übergreifenden, konkurrierenden und komplementären Strukturen eingebunden und bildete als interterritorialer Herrschaftsträger Knoten der politischen und gesellschaftlichen Vernetzung der Territorien und Städte untereinander und über diese hinaus an die Höfe der Fürsten und Grafen, deren Vasallen, Amtsträger und Finanzier er war.

Ziel des vorliegenden Dissertationsvorhabens ist es, den Niederadel im Raum des Oberen Mittelrheins in diesen vielfältigen Vernetzungen untereinander sowie mit den zahlreichen Fürsten und Städten zu untersuchen. Mittels eines Personenkatalogs über Lebensdaten, Besitz, Lehen, Ämter, Konnubien, Verwandtschafts- und anderen sozialen Beziehungen soll das Netz der vielfältigen Bindungen sichtbar gemacht werden, welches die niederadligen Herrschaftsträger und Amtsleute im Oberen Mittelrheinraum verknüpfte. Es soll ein regionales Schlaglicht auf die Praxis mittelalterlicher Herrschaft geworfen und gefragt werden, wie eine solche komplexe Struktur personaler Machtausübung aufgebaut war und vor allem wie sie in Krisen und Konflikten agierte. So zum Beispiel wie ein in Mehrfachvasallität und Mehrfachdienstmannschaft eingebundener Niederadliger in einem Konflikt zwischen seinen Herren agieren konnte oder musste. Zu fragen ist auch, wie groß die Möglichkeiten eigenständigen politischen Handelns seitens der Niederadligen waren und inwiefern sie als Diener und Mannen verschiedener Herren die stark auf Konsens beruhende mittelalterliche Herrschaft ganz entscheidend mittrugen oder bisweilen sogar initiierten. Zum anderen soll der Blick auf den Niederadel selbst gerichtet werden. Große Transformationsprozesse im Spätmittelalter veränderten die Rolle und die Legitimation des Niederadels und es ist anhand dieses regionalen Beispiels zu fragen, wie der Niederadel am Oberen Mittelrhein darauf reagierte oder reagieren konnte. Also welche Handlungsmuster sich aufzeigen lassen und welche Gründe neben biologischen Zufällen zum Aussterben von niederadligen Familien führen konnten.