Soziale Verflechtung und politische Ordnung in einer kleinen Stadt am Mittelrhein

Vergleichende Studien zu Bingen im Spätmittelalter

Dissertationsprojekt

Raoul Hippchen

Die Stadt Bingen erlebte im Mittelalter eine ereignisreiche Geschichte – seit dem späten 10. Jahrhundert ein Hauptort des Mainzer Erzbistums mit Residenzfunktion, bei dem sich auch die berühmte Äbtissin Hildegard niederließ, war sie ein beliebter Treffpunkt der rheinischen Kurfürsten, Angelpunkt von Landfrieden und Münzverträgen und gelangte schließlich als Sonderfall geistlicher Stadtherrschaft an das Mainzer Domkapitel.

Dennoch wurde das mittelalterliche Bingen bislang kaum erforscht. So sind die Strukturen der städtischen Gesellschaft und deren Anteil an Ereignissen der Stadtgeschichte nahezu unbekannt. Entsprechend finden sich etwa auch widersprüchliche Annahmen über Existenz und Ausprägung eines Binger Patriziats. Um die Stadtgemeinde und vor allem die sozial und politisch führenden Gruppen in den Blick zu nehmen, soll eine grundsätzlich prosopographische Herangehensweise verbunden werden mit Ansätzen der aus den Sozialwissenschaften stammenden Netzwerkanalyse, die über die Beziehungen zwischen Akteuren deren soziales Handeln zu erklären versucht. Ohne dass die Arbeitsweise der soziologischen Netzwerkanalyse stets stringent auf historische Befunde anwendbar wäre, bietet sie dem Historiker doch neue Interpretationsmöglichkeiten hinsichtlich der Genese, Struktur und Funktion gesellschaftlicher Beziehungsgeflechte. Dabei wird die Studie zum einen die innere Vernetzung der Stadtgemeinde untersuchen, und zum anderen nach den Beziehungen von Einzelnen oder Gruppen fragen, die über die Stadtmauern hinausreichten. So lässt sich die städtische Gesellschaft in den Kontext der umgebenden Region einordnen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die wechselseitige Wirkung von Netzwerken einerseits und politischem Geschehen andererseits. Zäsuren der Stadtgeschichte waren mögliche Faktoren für die Netzwerkbildung, während Handlungsweise und Vernetzung von Gruppen wiederum die Geschichte der Stadt beeinflussen konnten.

Die Studie will die Strukturen der städtischen Führungsgruppen Bingens vor dem Hintergrund einer vergleichenden Perspektive untersuchen. Dadurch soll sich der Blick für die Eigenheiten Bingens schärfen, während zugleich eine Einordnung allgemeiner stadtgeschichtlicher Phänomene erfolgen kann. Dabei interessiert besonders auch der Blick auf die mit Bingen verbundenen Gemeinwesen, vor allem die kleinen Städte des Mittelrheintals und die wichtigen Zentren Mainz und Köln.

Das Promotionsverfahren ist abgeschlossen, die Dissertation wird in der Reihe Geschichtliche Landeskunde erscheinen.