Ninfa: Das „Pompeji des Mittelalters“

 

Etwa eine Autostunde südlich von Rom liegt in der pontinischen Ebene, zu Füßen der Monti Lepini, Ninfa, ein singulärer, ein suggestiver Ort. Das sensible Ensemble aus Ruinen, Pflanzen und Tieren ist nur an bestimmten Tagen im Jahr der Öffentlichkeit zugänglich und erst seit einigen Jahren Gegenstand systematischer kulturgeschichtlicher Untersuchungen. Im Jahr 2000 wurde Ninfa zum Naturdenkmal (Monumento Naturale) der Region Latium.

Aus mehreren Gründen kann Ninfa als ein weltweit einzigartiges Ensemble angesprochen werden. Die bisher weithin übliche Klassifizierung des Giardino als englischer Landschaftsgarten wird der Spezifik dieses Naturdenkmals jedenfalls nicht gerecht. Der Name geht wohl auf ein am Ort vermutetes Nymphäum zurück, von dem aber bisher keine archäologischen Zeugnisse sicher identifiziert werden konnten. Spätestens im 8. Jahrhundert existierte in Ninfa ein größerer Agrarkomplex, der schon in der Antike vorhanden gewesen sein könnte.

Seit dem 11.Jahrhundert entstand an der strategisch und verkehrsgeographisch wichtigen Position im Süden Roms eine Stadt, die im Jahre 1159 mit der Weihe Papst Alexanders III. zum Schauplatz europäischer Politik wurde.

Ninfa wurde seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert nach und nach aufgegeben. Im 16. Jahrhundert ließ Kardinal Niccolò Caetani di Sermoneta ein in der Grundstruktur noch heute erhaltenen Renaissancegarten („giardino all‘ italiana“) anlegen. Mehrere Wiederbesiedlungsversuche seit dem 17. Jahrhundert schlugen fehl.

Im 20. Jahrhundert wandelten die Besitzer, die alte römische Adelsfamilie der Caetani, die von zahlreichen Pflanzen überwucherten Ruinen in einen Landschaftsgarten um. Einer englischsprachigen Publikation zufolge (Charles Quest-Ritson, London 2009) gilt dieser Ruinengarten als „the most romantic garden in the world“. Die wasserreiche Südlage unterhalb der schützenden Monti Lepini sowie das innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern herrschende spezifische Mikroklima begünstigen die von Menschen geschaffene bzw. ermöglichte singuläre Symbiose zwischen Ruinen und Pflanzen, zwischen Wasserläufen und seltenen Tieren (insbesondere Fischen, Vögeln und Insekten). Immer wieder fallen bei stets wechselnden Licht- und Farbverhältnissen faszinierende Wechselwirkungen und Kontraste zwischen jenen Mustern ins Auge, welche die Mauern und die ihnen verbundenen Pflanzen kreieren. Der Erhalt des Gleichgewichts zwischen den Resten historischer Bauten einerseits und einer vielfältigen Fauna und Flora andererseits zählt zu den Hauptzielen der Gartendirektion und der Fondazione Roffredo Caetani. Die Singularität des Ortes besteht nicht zuletzt darin, dass in den Giardino di Ninfa und den Gesamtkomplex eine über zweitausendjährige Geschichte eingeschrieben ist.

Seit dem Ende der 1990er Jahre wurde zudem auf einem etwa 100 Hektar umfassenden, an den Giardino unmittelbar angrenzenden Gebiet bis 2009 der Naturpark Pantanello angelegt. Auf diesem Gelände wurde und wird der Versuch unternommen, im Umfeld von angelegten sechs Teichen jene Flora und Fauna partiell zu rekonstruieren und zu pflegen, die vor der Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe in faschistischer Zeit für diese Landschaft typisch waren.

Mit dem Renaissancegarten, dem seit den 1920er Jahren geschaffenen Giardino di Ninfa sowie dem Naturpark Pantanello existieren in Ninfa drei Gartenmodelle, die zur Einzigartigkeit des Gesamtkunstwerks beitragen und Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Untersuchungen sind.

Im Rahmen des Projektes wurden und werden mehrere Vorhaben verfolgt:

- Erhaltene Schriftquellen zur Geschichte der pontinischen Sümpfe und Ninfas im Mittelalter erschließt Rudolf Hüls in einschlägigen Archiven, vor allem im Archivio di Stato di Latina. Die Forschungsergebnisse wurden und werden in einzelnen Studien publiziert, und die ermittelten Quellen sollen langfristig in einer Datenbank zugänglich gemacht werden. (siehe Forschungsergebnisse und Literaturhinweise).

- Auf der Basis einer systematischen Auswertung der erhaltenen Schriftquellen sowie auf der Grundlage von terrestrischem und luftgestütztem 3-D-Laserscanning der erhaltenen Ruinen (durch ArcTron3D) erfolgt eine virtuelle Rekonstruktion von Teilen der mittelalterlichen Stadt bzw. einzelner Gebäude.

 

 

 

 

 

- Bisher dominiert die Ansicht, die Ruinenstadt sei – von wenigen Ausnahmen wie Edward Lear und Ferdinand Gregorovius abgesehen - erst nach der Bonifizierung der Sümpfe und der Umwandlung in den heutigen Giardino seit den 1920er Jahren wahrgenommen worden. Das Gegenteil trifft nach den bisherigen Recherchen zu. Ninfa wurde im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts zu einem ausgesprochen international wahrgenommenen Sehnsuchtsort und mit Metaphern wie Pompeji des Mittelalters, Dornröschenschloss und Zauberstadt angesprochen.

Im Oktober 2020 konnten trotz Corona erste Ergebnisse zur Wahrnehmungsgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg im Rahmen einer Tagung in Ninfa vorgestellt werden.

https://www.youtube.com/watch?v=LtH00Qw-4xU

Im Jahr 2022 wurde der Tagungsband publiziert und in Ninfa präsentiert. https://schnell-und-steiner.de/produkt/ninfa-4/

https://roma.repubblica.it/cronaca/2022/11/23/news/giardino_di_ninfa_pompei_del_medioevo_caetani-375721915/

https://vergleichendelandesgeschichte.geschichte.uni-mainz.de/medienspiegel-auswahl/

Weitere Publikationen zur Rezeptionsgeschichte der Ruinenstadt sind geplant, zudem zur Entdeckung und Wahrnehmung der pontinischen Sümpfe und der Volskerberge als alte europäische Kulturlandschaften.

 

Der Fotograf und Medienkünstler Christoph Brech in Ninfa

Im Rahmen des Projektes werden auch aktuelle künstlerische Wahrnehmungen des Ortes erprobt. Von 2010 bis 2013 fotografierte der Münchener Fotograf und Medienkünstler Christoph Brech im Gartenkomplex. Brech, vor seinem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München selbst zum Gärtner ausgebildet, hielt das einmalige Ensemble nicht nur als romantischen Park im Wandel der Tages- und Jahreszeiten fest, sondern arbeitete auch durch genaue Beobachtung für diesen Ort wesentliche Sujets heraus, wie die Gegenüberstellung von gewachsenen und gebauten Strukturen oder die Pflanzen, die sich in Herbst- und Winteraufnahmen selbst als Ruinen präsentieren.

Brechs in Ninfa entstandene Fotoarbeiten wurden im Rahmen verschiedener Ausstellungen gezeigt: Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (2013) https://www.adwmainz.de/nachrichten/artikel/ninfa-der-schoenste-landschaftsgarten-der-welt-fotografien-von-christoph-brech.html

Stadtmuseum Lindau (2014) https://kunstfreunde-lindau.de/ausstellungen/christoph-brech-2014/

Erzabtei St. Ottilien (2017). https://erzabtei.de/node/193

Münchner Festival "Flower Power" (2023) https://www.br.de/nachrichten/kultur/sag-es-durch-die-blume-florale-ausstellungen-in-muenchen,TiXfFQK

Im Oktober 2020 wurde in Ninfa auch eine Videoarbeit Brechs auf der Grundlage seiner Fotografien gezeigt: https://www.youtube.com/watch?v=LtH00Qw-4xU

Diese Arbeit war zusammen mit Fotographien im Jahr 2022 in einer Sonderausstellung des Diözesanmuseums Paderborn zu sehen: Holger Kempkens, Christiane Ruhmann (Hrsg.), So gesehen. Barbara Klemm. Christoph Brech, München 2022. https://dioezesanmuseum-paderborn.de/im-bann-der-bilder-barbara-klemm-trifft-christoph-brech/

Am 4. Dezember 2024 wurde die Videoarbeit auch im Rahmen einer Buchvorstellung auf der Buchmesse in Rom Più libri più liberi gezeigt.

In einem geplanten Buchprojekt werden ausgewählte Fotos von Brech mit einer von Michael Matheus verfassten Geschichte des Ortes und insbesondere seiner Gartengeschichte präsentiert.

Zu Brech vgl. https://www.christophbrech.com/

Mit Ninfa haben sich auch andere Künstler im 20. Jahrhundert immer wieder auseinandergesetzt. Im Jahr 2013 arbeitete der Fotograf Elger Esser in Ninfa (vgl. Matheus, 2022, S. 15).

 

Anthologie zu Ninfa

In einer Anthologie werden mittelfristig von Michael Matheus und Anna Maria Voci in Kooperation mit Gabriele Turban-Lang Texte zu Ninfa aus dem langen 19. Jahrhundert (ca. 1780 bis 1914) publiziert. In ihnen spiegelt sich die Konstruktion Ninfas als eines magisch - romantischen Raumes.

 

Forschungsergebnisse und Literaturhinweise:

Michael Matheus (Hrsg.). Ninfa. Percezioni nella scienza, letteratura e belle arti nel XIX e all’inizio del XX secolo, Regensburg 2022.
https://schnell-und-steiner.de/produkt/ninfa-4/

Michael Matheus, Premessa, in: Michael Matheus (Hrsg.). Ninfa. Percezioni nella scienza, letteratura e belle arti nel XIX e all’inizio del XX secolo, Regensburg 2022, S. 9 – 12.

Michael Matheus, Ninfa. Percezioni nella scienza, letteratura e belle arti tra il secolo XIX e l’inizio del XX, in: Michael Matheus (Hrsg.). Ninfa. Percezioni nella scienza, letteratura e belle arti nel XIX e all’inizio del XX secolo, Regensburg 2022, S. 13 – 164.

Rudolf Hüls: Paulus Gaytanus da Marmossolio (ca. 1400 - ca. 1450): un abate produttore di vino, commerciante di bestiame, prestatore di denaro e padre di famiglia, ma senza monaci. In: Latium 34 (2017), S. 5-16. Hüls, Rudolf: Paulus Gaytanus da Marmossolio

Rudolf Hüls: I quaterni del notaio Antonio di Mastro pietro alias Tuzi (sec. XIV): una fonte straordinaria sulla vitapolitica, sociale, economica e culturale nell’area di Sermoneta e Ninfa. In: Latium 36 (2019), S. 29-74. Hüls, Rudolf: I quaterni Del notaio Antonio di Mastro pietro alias Tuzi

Rudolf Hüls: Descrizione dei Quaterni del notaio Tuzi di Sermoneta. In: Latium 37 (2020), S. 47-82. Rudolf Hüls: Descrizione dei Quaterni del notaio Tuzi di Sermoneta

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